Ein gewichtiger Grund, im Sommer ins Museum zu gehen (vielleicht der Einzige?), ist die Flucht vor der Hitze. Wertvolle Museumsobjekte brauchen eine schön gemässigte, gleichbleibende Temperatur, die sicher nie 25 Grad übersteigt, um auf Dauer überleben zu können (wie Grossmütter?). Gefühlt tiefer liegt die Temperatur im Genfer Ethnologischen Museum (MEG). Nachdem ich mich letzten Monat durch stehende Hitzewände in der Stadt gearbeitet hatte, fröstelte es mich fast ein wenig im Sommerkleid in der MEG-Dauerausstellung (gratis Eintritt!).
Da ist also im zweiten Untergeschoss eine riesige black box. Unterteilt in einen einführenden Teil zur Geschichte des Museums
und einen grösseren Teil mit mindestens 30 gleich grossen, hohen, geheimnisvoll leuchtenden Vitrinen Der Eindruck ist erst einmal überwältigend und fast ein wenig „gfürchig“ – da stehen uns völlig fremde Gestalten, deren Magie ja nicht nur ästhetisch, sondern durchaus funktionell war in ihrer ursprünglichen Umgebung (und wer weiss, vielleicht noch ist?). Nach einem ersten Umherirren zwischen der Vielzahl von Objekten aus allen Erdteilen begriff ich, dass jeweils eine Reihe von Vitrinen Objekte zu einem Kontinent abdecken und jede einzelne Vitrine nach einem spezifischen Thema ausgestattet ist. Toll finde ich, dass die Objekte aus Europa direkt in Zwiesprache stehen zu ihren „Kollegen“ aus anderen Erdteilen: Maria mit Kind und ein ozeanischer Freund im Hintergrund.
Das ist ein Museum, zu dem auch selbstverständlich ein grosses Auditorium gehört, eine Bibliothek und ein Tonarchiv. Im Aufzug irritiert mich der Eigenname bei der Bibliothek und ich hätte nicht gedacht, dass sie öffentlich ist. Aber sie ist es, und wie! Zu jedem Kontinent und zur grossen Übersicht gibt es auch Kinderbücher!
Na gut, alles auf Französisch, aber es sind ja auch Bilderbücher. Und der spezielle französische Witz zeigt sich in der Reihe der Erwachsenenbücher, Voodoo für Promis:
Und hinten in der Bibliothek – was das wohl ist?
Drinnen im „Ciné de poche“ sieht es unterkühlt aus, ist aber eine grossartige Idee: man kann sich dort grad die Videos vorführen lassen, die es eben auch in der Bibliothek gibt!
Und im spitzen Dach weiter oben findet sich eine Lounge, in der der digitalisierte Teil der ethnomusikalischen Sammlung anzuhören ist.
Ein Angebot ist dabei, sich durch „Berceuses“, also Wiegenlieder aus aller Welt hören zu können und auch durch Gesänge zur Arbeit.
Chloé will lieber Lieder zur Arbeit hören. Und als Marcel sie fragt, woher die Musik wohl stamme, die sie gerade hörte, antwortet sie ohne zu zögern „Afrique“. Ob es bei Musik einfacher ist, als bei Dingen, die Herkunft zu bestimmen? Ganz besonders spannend finde ich, wie die Objekte präsentiert werden im einführenden Bereich der Dauerausstellung:
Das ist nicht EINE Krippe, sondern sind Figuren aus Portugal, Tunesien und Italien.
Und das Ding links unten mit den Nadeln muss doch irgendwie Vodoo sein? Nein, das wurde im 19. Jhdt. von Tessiner Frauen ins Haar gesteckt, während die Wolof-Frauen aus dem Senegal ihr Puder im Horn links aufbewahrten.
Beide Objekte stammen übrigens aus der Schweizerischen Landesausstellung von 1896 in Genf, das Horn aus dem „Negerdorf“, das wohl, wie zu dieser Zeit üblich, mit echten Menschen betrieben worden war.
Unendlich viel Stoff zur Welterkundung, zum Horizont erweitern ist hier ausgebreitet!
Bewertung: ungewöhnlich anregend *****
Atmosphäre *****